
Teilhabe stärken, Schulausschluss verhindern!
In Deutschland haben alle Kinder ein Recht auf Bildung – doch die Realität sieht für viele versorgungsintensive Kinder in Berlin anders aus. Immer wieder werden Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf vom Schulbesuch ausgeschlossen. Beim Fachgespräch „Bildung für alle? Schulausschluss verhindern!“ des Fachbeirats Care Managements, das Anfang April in der Landesgeschäftsstelle des VdK Berlin-Brandenburg stattfand, wurden diese Missstände offen angesprochen und Lösungsansätze diskutiert, mit dabei Expert*innen, betroffene Eltern sowie politische Vertreterinnen, wie die Staatssekretärin für Gesundheit und Pflege, Ellen Haußdörfer (SPDkurz fürSozialdemokratische Partei Deutschlands).

Bereits 2021 hatte der Fachbeirat Care Management in einem Positionspapier auf gravierende Missstände hingewiesen. Trotz gesetzlicher Schulpflicht und der UN-Behindertenrechtskonvention werden Kinder mit Förderbedarf nach wie vor ausgeschlossen. „Das Wichtigste ist die Teilhabe der Kinder und Jugendlichen. Dafür wollen wir das System optimieren und Bürokratie minimieren“, sagte Dr. Ellis Huber, Vorsitzender des Fachbeirats Care Management in seiner Eröffnungsrede.
Evelyne Hohmann, Leiterin der Landeskoordination Rehabilitation & Teilhabe – Kinder und Jugendliche, kritisierte die unzureichende Datenlage zur Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Unterstützungsbedarf. Unterschiedliche Datenquellen seien nicht vergleichbar, viele Fälle würden doppelt gezählt oder gar nicht erfasst. „Es bedarf einer besseren und genaueren Erfassung“, so Hohmann. Sie forderte eine Erfassung nach einheitlichen Altersgruppen und Merkmale zur anonymisierten Nachverfolgung der Einzelfälle in den Statistiken. Sie präsentierte eine Pflegestatistik, wonach die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Pflegegrad 3 oder höher zwischen 2019 und 2023 um über 40 Prozent gestiegen ist.
Die Staatssekretärin für Bildung, Christina Henke (CDUkurz fürChristlich Demokratische Union) unterstrich in einer Video-Botschaft die Wichtigkeit des Themas: „Ihre Arbeit wird gehört und ernst genommen. Lassen Sie uns gemeinsam nach Lösungen suchen.“ Ellen Haußdörfer, Staatssekretärin für Gesundheit und Pflege, machte deutlich: „Wir brauchen über den Tellerrand blickende Lösungen und müssen evidenzbasiert arbeiten. Dafür brauchen wir genaue Zahlen.“
Sicht betroffener Familien
Die beiden Mütter Susanne Bogdanski und Gesine Wulf, die im Berliner Bündnis für schulische Inklusion organisiert sind, schilderten die Auswirkungen von Schulausschlüssen eindrücklich anhand von Fallbeispielen. So besucht der 14-jährige Ivo nur sporadisch die Schule, da ihm eine angemessene Schulassistenz fehlt. Seine Mutter musste ihren Beruf aufgeben, um ihm den Schulbesuch zu ermöglichen. Auch die 11-jährige Sara mit Spina bifida (ein „offener Rücken“) hat große Schwierigkeiten: Ihre Schule kann die medizinische Versorgung nicht gewährleisten, sodass ein Elternteil täglich in Bereitschaft sein muss, um einzuspringen.
Die Folgen sind gravierend: eingeschränkte Bildungschancen, soziale Isolation, hohe familiäre Belastung und finanzielle Unsicherheit. Bogdanski und Wulf zeigten auf, dass Schulausschluss viele Gesichter hat, die Ursachen aber oft die gleichen sind: Es fehlen angemessene Vorkehrungen.
Politische Perspektiven
In der anschließenden Fragerunde unterstrichen die Politikerinnen die Dringlichkeit des Themas. „Wir haben zu wenig Finanzierung für Kinder mit besonderem Bedarf. Die Bezirke haben kaum Mittel, um die Schulwegbeförderung zu finanzieren“, erklärte Janine Wolter (SPDkurz fürSozialdemokratische Partei Deutschlands), Bezirksstadträtin in Neukölln. Catrin Wahlen (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte: „Es ist ein Unding, dass die Rechte von Kindern mit Behinderungen verletzt werden. Wir drohen hinter bereits erzielte Fortschritte zurückzufallen.“ Besonders besorgniserregend sind die Kürzungen, die inklusive Schulen besonders hart träfen. Franziska Brychy (Die Linke) warnte: „Die Schwächsten der Gesellschaft kommen unter die Räder. Wir brauchen rechtliche Anpassungen, um die Inklusion zu sichern.“
Strukturelle Probleme
Jördis Frost vom Teilhabefachdienst Berlin-Mitte thematisierte die strukturellen Probleme: „Es gibt zwar schulstrukturelle Maßnahmen, die aber oft nicht bei den Kindern ankommen. Die Schulen verwenden die Mittel für Vertretungsunterricht statt für Inklusion. Zusätzliche Schulassistenzstunden sind oft schwer durchzusetzen.“
Zusammenarbeit
Susanne Wengler, von der Pfefferwerk Stadtkultur, stellte zwei ihrer Projekte vor, bei denen versorgungsintensive Kinder besser in die Schule integriert werden. „Lehrkräfte müssen geschult werden, um mit den herausfordernden Situationen umgehen zu können. Prozessorientierung und Dialog helfen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Eltern, Lehrkräften sowie Schüler*innen ist der Schlüssel für nachhaltige Veränderungen“, erklärte Wengler.
In der abschließenden Fragerunde wurde erörtert, inwieweit die politischen Vertreterinnen den Fachbeirat unterstützen können. Catrin Wahlen sagte, dass dies aus der Opposition heraus schwierig sei, sie aber besonders die Datengrundlage und die rechtliche Situation der Eltern weiterverfolgen werde. Bogdanski wies darauf hin, dass strukturelle Probleme eine bessere Vernetzung und klar definierte Versorgungsstrukturen erfordern. „Wir haben eine Mammutaufgabe vor uns, die wir nur durch Kooperation und unter Beteiligung der Betroffenen lösen können“, so Bogdanski.
Vertrauen stärken
Dr. Huber resümierte abschließend: „Wir müssen den Geist der Versorgungskultur verändern. Es geht darum, eine Beziehungskultur zu entwickeln und das Vertrauen zwischen allen Beteiligten zu stärken. Hier in Berlin sollten wir vorbildlich vorangehen.“
Der Externer Link:Fachbeirat Care Management wird sich weiterhin für eine inklusive Bildung einsetzen und politische Entscheidungsträger in die Verantwortung nehmen. Seit seiner Gründung im Jahr 2018 arbeitet das interdisziplinäre Gremium aus Elternvertretungen, Krankenkassen, Senatsverwaltungen, Wohlfahrts- und Sozialverbänden – darunter auch der VdK Berlin-Brandenburg – sowie Fachkräften aus der Praxis daran, die Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen zu verbessern und ihnen eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.
