„Wenn ich anderen helfen kann, fühle ich mich gut“
Giorgi Karitchashvili ist 2018 mit seinem Bruder aus Georgien nach Deutschland geflohen. In seiner ehemaligen Geflüchtetenunterkunft sprachen wir mit dem 40-jährigen Rollstuhlfahrer über seinen Weg hierher und wie er nun als Dolmetscher anderen Geflüchteten hilft.
Woher kommen Sie und was waren die Gründe für Ihre Flucht?
Ich komme aus Georgien und erhielt dort eine falsche Diagnose. Ich habe zehn Jahre lang zwei Medikamente genommen, eines gegen Parkinson und ein Antidepressivum. Sie führten zur einer Signalstörung zwischen meinem Kopf und meinen Beinen, sodass ich nicht mehr laufen kann und auf einen Rollstuhl angewiesen bin. Wegen dieser Krankheit hatte ich in Georgien viele Probleme, ich konnte nicht arbeiten und war nur zu Hause. Es war wie ein Gefängnis.
Ich komme aus einer kleinen Stadt namens Gori und habe Jura studiert. Dort gibt es aber kaum Arbeit und keinen barrierefreien Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln wie hier in Deutschland, zum Beispiel mit Aufzügen an den Bahnstationen. Deshalb bleiben Menschen mit Behinderung in Georgien meistens zu Hause, weil sie keine andere Möglichkeit haben. Viele bräuchten eigentlich einen Rollstuhl, sie bekommen aber keinen.
Wie sind Sie dann nach Deutschland gekommen?
Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus, ich fühlte mich wie ein Zombie. Die Ärzte haben gesagt, dass ich mein ganzes Leben lang krank sein werde. In Deutschland sind die Ärzte besser, deshalb bin ich 2018 mit meinem Bruder nach Deutschland gekommen und sie haben eine richtige Diagnose gestellt. Am Anfang war es sehr schwer für mich, ich konnte kein Deutsch. Ich wusste nicht, was ich machen soll. Erst hier habe ich die Sprache gelernt.
Zuerst war ich mit meinem Bruder drei Monate in einer Geflüchtetenunterkunft in Berlin-Steglitz. Dann kamen wir in die nächste Unterkunft, die aus Containern bestand und nicht barrierefrei war. Dort gab es keine behindertengerechten Toiletten und Duschen. Jeden Morgen musste mir mein Bruder helfen, mich in ein Gebäude mit einer behindertengerechten Toilette zu bringen. Das war eine sehr schwierige Zeit.
Ich hatte ein georgisches Attest für meine Krankheit. Das wurde jedoch nicht anerkannt. Erst als ich vier Monate später ein deutsches Attest bekam, durfte ich hier in die Unterkunft in Lichtenberg und bekam ein barrierefreies Zimmer. In dieser Zeit war mein Bruder eine große Hilfe für mich, mit ihm konnte ich immer über schwierige Situationen reden oder einfach nur spazieren gehen. In der Unterkunft, in der wir jetzt gerade das Interview führen, habe ich fünf Jahre gewohnt. Nun habe ich eine eigene Wohnung, die barrierefrei ist.
Wie war der weitere Verlauf Ihrer Krankheit?
In Deutschland haben die Ärzte mir gesagt, dass es eine Fehldiagnose war und ich konnte die Medikamente absetzen. Sieben Monate nach meiner Ankunft habe ich hier einen georgischen Psychologen gefunden, der mir gut hilft. Jetzt nehme ich nur noch im Winter ein leichtes Antidepressivum, wenn ich es brauche. Am meisten freut mich, dass die Ärzte sagen, dass ich in Zukunft wieder laufen kann. Die Signale zwischen meinem Kopf und meinen Beinen werden wieder zurückkommen.
Eine weitere große Hilfe war damals Herr Jänsch (Anmerkung der Redaktion: Er ist Geflüchtetenbeauftragter des VdK Berlin-Brandenburg). Er war der erste Mensch, der mir hier geholfen hat. Er hat mir bei vielen Dingen geholfen, zum Beispiel bei der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises und eines Elektro-Rollstuhls. Einen einfachen Rollstuhl konnte ich aufgrund der Nebenwirkungen der Medikamente nicht fahren.
Wie hat sich Ihr Alltag seit Ihrer Ankunft verändert?
Heute bin ich froh, dass ich Menschen helfen kann, die in einer ähnlichen Situation sind wie ich damals. Seit drei Jahren unterstütze ich diese und andere Unterkünfte, indem ich ehrenamtlich dolmetsche und anderen Geflüchteten bei ihren bürokratischen Angelegenheiten helfe. Es gibt nicht viele Übersetzer, die Georgisch sprechen.
Im Moment betreue ich unter anderem zwei Familien aus Georgien. Eine Familie hat ein Kind mit einer Behinderung, die andere Familie eine krebskranke Tochter. Ich helfe ihnen bei den Papieren, die sie ausfüllen müssen. Dabei arbeite ich mit Herrn Jänsch zusammen. Ich helfe auch Familien aus der Ukraine und dolmetsche auch Russisch. Die Sprache habe ich in der Schule gelernt, aber nie angewendet. Erst als ich hier war, habe ich gelernt, die Sprache zu sprechen.
Ich habe mich sehr gefreut, als mich ein Ehrenamtskoordinator für mein Engagement für die Lichtenberger Bürgermedaille vorgeschlagen hat und noch mehr, als ich sie dann auch bekommen habe. Hier gibt es viel zu tun, aber ich muss aufpassen, dass ich mich nicht übernehme.
Es gibt also viele Geflüchtete, die Ihre Hilfe brauchen. Welche Schwierigkeiten sehen Sie speziell für Geflüchtete mit Behinderung?
Es gibt viele Sprachbarrieren und viel zu viel Bürokratie in Deutschland. Wenn man neu hier ist, muss man erst einmal das System verstehen und wissen, wo man hingehen kann, um Hilfe zu bekommen. Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Ich erkläre den Bewohnern hier zum Beispiel, dass man zuerst zum Hausarzt geht, der einen dann zum Facharzt oder ins Krankenhaus überweist. Das muss man erst einmal wissen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Zum einen, dass ich wieder laufen kann und zum anderen, dass ich hauptberuflich als Sozialberater den Geflüchteten hier helfen kann. Dafür werde ich mich hier in der Unterkunft bewerben. Wenn ich für andere übersetzen und ihnen helfen kann, fühle ich mich gut. Außerdem mag ich es, andere Kulturen kennenzulernen. Ich bin hier mit allen Nationalitäten in Kontakt, wie Afghanistan, Syrien, Türkei, mit Leuten von überall.
Wir danken Ihnen für das Interview und wünschen Ihnen alles Gute und dass Ihre Wünsche in Erfüllung gehen.
Das Interview führte Lea Hanke.