Kategorie Aktuelle Meldung Kinder und Jugendliche Teilhabe

Mehrsprachigkeit als Chance

Von: Lea Hanke

Beim Fachtag zum Thema „Spracherwerb in der frühkindlichen Bildung und Frühförderung“, der am Ende Juni im Rathaus Mitte in Berlin stattfand, tauschten sich über 100 pädagogische Fachkräfte sowie Mitarbeitende der Kinder- und Jugendambulanzen/ Sozialpädiatrischen Zentren aus. Die von der Landeskoordination Rehabilitation und Teilhabe – Kinder und Jugendliche (LaKo), in Trägerschaft des VdK Berlin-Brandenburg, organisierte Veranstaltung widmete sich einem Thema, das im Berliner Alltag längst Realität ist: Mehrsprachigkeit.

Der Saal mit dem Publikum von hinten fotografiert.
© VdK Berlin-Brandenburg

„Sprache lernen Kinder durch Beziehung, durch Miteinander-Reden“, betonte Evelyne Hohmann, Leiterin der Externer Link:LaKo, zur Eröffnung. Kinder mit Entwicklungsstörungen seien besonders auf gezielte Sprachförderung angewiesen, wobei Mehrsprachigkeit nicht als Hindernis gesehen werden dürfe. „Eine gemeinsame Sprache hilft den Kindern für eine gemeinsame Zukunft.“

Kinder brauchen für ihre Entwicklung sprachliche Zuwendung. Andernfalls können die Folgen verheerend sein – das machte das Grußwort von Sabine Salaske von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie deutlich: „Kinder brauchen von Anfang an sogenannte ‚Ansprache‘-Blickkontakte, Worte und Mimik. Sprache ist der Schlüssel, um Gefühle auszudrücken, Konflikte zu lösen und Beziehungen zu gestalten.“

Präventionsarbeit

Wie eng Sprache, Bildung und Armut miteinander verbunden sind, unterstrich Prof. Dr. Gabriele Schlimper, Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin sowie Professorin für Sozialpolitik und soziale Unternehmungen an der Hochschule für Soziale Arbeit und Pädagogik (Anmerkung der Redaktion: Prof. Dr. Gabriele Schlimper wird ihre Tätigkeit als Geschäftsführerin zum 31. August offiziell beenden): „Kinder, Bildung und Armut – das hängt eng zusammen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder aus armen Verhältnissen später selbst arm werden, liegt bei über 40 Prozent.“ Bereits bei vierjährigen Kindern zeigten sich deutliche Unterschiede in Sprache und kognitiven Fähigkeiten. „Was Sie in den Kitas leisten, ist Präventionsarbeit. Das ist von unschätzbarem Wert. Es braucht solche ökosystemischen Ansätze und eine verlässliche Zusammenarbeit.“

Sprachliche Vielfalt

Dr. Nathalie Topaj, Expertin für Mehrsprachigkeit an der Humboldt-Universität zu Berlin, räumte mit Mythen auf: „Für ein Kind ist es nicht verwirrend, zwei oder mehrere Sprachen zu hören oder zu sprechen. Der Spracherwerb wird dadurch nicht erschwert – im Gegenteil.“ Mehrsprachigkeit führe nicht zu Sprachstörungen, sondern erweitere kulturelle Kompetenzen und das Verständnis für Sprache – eine wichtige Grundlage für Lesen und Schreiben. 

In Berlin werden über 100 Sprachen gesprochen, fast 44 Prozent der Kinder an öffentlichen Schulen haben eine nichtdeutsche Herkunftssprache. „Mehrsprachigkeit ist keine Ausnahme, sondern Normalität“, so Topaj. Zwar hätten mehrsprachige Kinder oft einen kleineren Wortschatz pro Sprache, insgesamt jedoch mehr Wörter und Konzepte als einsprachige Kinder. Da viele erst im Kindergarten regelmäßig Deutsch sprechen, sei die gezielte Förderung von Alltagssprache entscheidend – als Grundlage für Bildungssprache.

Kommunikation

Wie Sprachbildung inklusiv gelingen kann, zeigte Lena Lingk, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität zu Köln. Sie stellte die Chancen der Unterstützten Kommunikation (UK) vor, etwa durch Gebärden, Symbole oder Bilder. „Wir feiern Mehrsprachigkeit – das ist unser gemeinsames Verständnis“, sagte sie. „Unsere Haltung ist entscheidend: Wir wollen zeigen, was Kinder alles können.“ Alltagssprache zu vermitteln, sei Voraussetzung für Bildungssprache.

Auch die Heilpädagogin Susanne Bielert von der Beratungsstelle SEHstern betonte die Bedeutung von UK, insbesondere bei Sprachbarrieren oder Beeinträchtigungen. „Sprache soll Spaß machen“, sagte sie. Viele Kitas nutzten bereits Symbole, Gebärden oder Rituale – das sei gelebte Unterstützte Kommunikation. Ihr Appell: „Bereiten Sie Angebote schrittweise vor und binden Sie UK systematisch ein.“ UK ermögliche allen Kindern Teilhabe und Ausdruck – ein wichtiger Beitrag zu mehr Chancengleichheit.

Sprache als Brücke

In den Workshops wurde diese Praxis vertieft. Die zentrale Erkenntnis: Der Alltag bietet zahlreiche Sprachanlässe, die es aktiv zu nutzen gilt. Entscheidend sei, mit Neugier und Freude ins Gespräch mit Kindern zu kommen. Aufgrund der hohen Nachfrage plant die LaKo weitere Veranstaltungen. 

„Berlin ist eine multikulturelle Stadt. Hier wachsen viele Kinder selbstverständlich mehrsprachig auf. Das ist eine große Chance, denn gerade in der frühen Kindheit können wir mehrere Sprachen gleichzeitig lernen und das ganz natürlich, wie eine Erstsprache“, betonte Evelyne Hohmann. Insbesondere bei Kindern mit Förderbedarf sei UK eine wichtige Brücke zur Teilhabe – in der Kita, in der Schule und darüber hinaus. Der Fachtag war ein starkes Plädoyer für ein modernes, inklusives Verständnis von Sprache: als vielfältig, verbindend und zentral für gesellschaftliche Teilhabe. Die Botschaft lautete: Mehrsprachigkeit ist kein Hindernis, sondern ein Schatz, den wir heben sollten.