Inklusion ist Menschenrecht
In der Französischen Friedrichstadtkirche am Berliner Gendarmenmarkt fand Anfang November 2024 die Jahreskonferenz der Hilfsorganisation Handicap International statt. Mehr als 250 Expert*innen aus Politik und Zivilgesellschaft sowie Betroffene kamen zusammen, um über die Situation geflüchteter Menschen mit Behinderung zu diskutieren. Im Fokus standen die drastischen Verschärfungen der Asylgesetze und die Auswirkungen auf die Rechte besonders schutzbedürftiger Gruppen.
Seit Sommer 2023 hat die Bundesregierung sieben neue Gesetze im Asyl- und Migrationsbereich verabschiedet, darunter auch das umstrittene Sicherheitspaket nach dem Anschlag in Solingen. Diese Gesetze führen nicht nur zu verstärkten Abschiebungen, sondern treffen besonders schutzbedürftige Menschen – wie Geflüchtete mit Behinderung – besonders hart. Sophia Eckert, Referentin für Flucht und Migration bei Handicap International, führte aus, dass die neuen Regelungen vielfach nicht mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) vereinbar sind.
Gesetzesverschärfungen
So führten die Gesetzesänderungen beispielsweise zu einer Verlängerung des Grundleistungsbezugs: Geflüchtete müssen nun bis zu 36 Monate statt 18 Monate auf Heil- und Hilfsmittel sowie Pflegeleistungen warten. Des Weiteren ist die Bezahlkarte für einige Menschen nicht barrierefrei, da sie unter anderem den Zugang zu barrierefreien Supermärkten, Apotheken oder Online-Diensten erschweren kann. Auch beim Leistungsausschluss in Dublin-Fällen zeigt sich: Betroffene erhalten nur noch minimalste Leistungen (wie „Bett, Brot, Seife“) und die medizinische Versorgung wird auf Notfälle reduziert.
Claire Deery, Fachanwältin für Asyl- und Aufenthaltsrecht aus Göttingen, sprach von Wartezeiten zwischen drei und 18 Monaten bei behördlichen Entscheidungen, die für Menschen mit Behinderung katastrophal seien. Der Staat schaffe so neue Hürden, anstatt Barrieren abzubauen.
UN-BRK umsetzen
Inez Kipfer-Didavi, Geschäftsführerin von Handicap International, betonte in ihrer Eröffnungsrede, dass die UN-BRK allen Menschen das Recht auf ein selbstbestimmtes, gleichberechtigtes Leben zuspricht. Insbesondere die Verschärfungen im Asylrecht widersprächen diesen Grundsätzen. Der Rechtsruck in der Gesellschaft und das Wiedererstarken rechtsextremer Positionen in Teilen Deutschlands – sichtbar in den Wahlen in Sachsen und Thüringen – verschärfen die Situation zusätzlich.
Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 10 bis 15 Prozent aller Geflüchteten in Deutschland eine Behinderung haben. Viele von ihnen sind in den bestehenden Strukturen nicht ausreichend versorgt und sehen sich zusätzlichen Hürden gegenüber. Die neuen gesetzlichen Regelungen erschweren den Zugang zu Pflegeleistungen, notwendigen Heilmitteln sowie Teilhabemöglichkeiten erheblich. Dies verschärft die ohnehin prekäre Situation geflüchteter Menschen mit Behinderung.
Kipfer-Didavi plädierte daher für ein entschiedenes Eintreten für die Rechte vulnerabler Gruppen und für die Verteidigung demokratischer Grundwerte.
Handlungsbedarf
In der anschließenden Panel-Diskussion wies Deery darauf hin, dass es sich lohne gegen Ablehnungen Widerspruch einzulegen. „80 Prozent der Fälle gewinnen die Betroffenen vor Gericht, da die Ablehnungen meist unbegründet sind“, so Deery. Auch Dr. Annette Tabbara vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die ebenfalls an der Diskussion teilnahm, betonte wie wichtig es sei, dass sich Geflüchtete an bestehende Teilhabeberatungsstellen wie die EUTB ® (Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung), wenden, um Hilfe zu erhalten.
Deshalb bietet die EUTB Reinickendorf, die sich in Trägerschaft des VdK Berlin-Brandenburg befindet, im Ankunftszentrum sowie einer weiteren Geflüchtetenunterkunft in Reinickendorf direkt vor Ort freiwillige Gesundheitsberatungen für Geflüchtete an. In einer Pressemitteilung hatten wir bereits über dieses Externer Link:Pilot-Projekt berichtet.
Die freiwillige Gesundheitsberatung richtet sich gezielt an geflüchtete Menschen mit Behinderung, die aufgrund ihrer besonderen Lebenslage oft nicht die Unterstützung erhalten, die ihnen zusteht. Die Beratung trägt dazu bei, den Zugang zu medizinischer Versorgung, Hilfsmitteln und Teilhabeleistungen zu erleichtern. „Für uns als VdK ist es entscheidend, dort anzusetzen, wo Menschen besonders von Benachteiligung betroffen sind“, erklärt Stephan Klauert, Geschäftsführer des VdK Berlin-Brandenburg. „Mit der freiwilligen Gesundheitsberatung vor Ort schließen wir eine Lücke und sorgen dafür, dass die Menschen die Versorgung erhalten, die Ihnen zu steht.“