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Autismus ist kein einheitliches Bild

Von: Lea Hanke

Die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) unterstützt Menschen mit Behinderungen, chronischen Erkrankungen und Schmerzpatienten – darunter auch Autist*innen. EUTB-Beraterin Alise Løwenzahn berichtet von den vielfältigen Anliegen und Herausforderungen, mit denen autistische Menschen in die Beratung kommen.

Auf dem Foto ist eine Frau an einem Schreibtisch zu sehen, die etwas überfordert ist. Sie sitzt in einem Großraumbüro, der Lärm ist ihr zu viel.
Großraumbüros können Menschen mit Autismus schnell überfordern. Ein eigenes Büro oder Ohrstöpsel helfen gegen die Reizüberflutung. © Freepik/ Drazen Zigic

Autistische Menschen und ihre Angehörigen wenden sich mit den unterschiedlichsten Fragen an die EUTB-Beratungsstelle des VdK Berlin-Brandenburg in Reinickendorf. Häufig geht es um Übergänge – etwa von der Kita in die Schule, von der Schule in den Beruf oder ins Erwachsenenalter. Besonders der Wechsel vom Jugendamt zum Teilhabefachdienst mit 18 Jahren kann herausfordernd sein, da sich Zuständigkeiten und Ansprechpartner ändern. „Viele sind überfordert, wenn gewohnte Unterstützungsleistungen plötzlich wegfallen“, erklärt Løwenzahn. In einigen Fällen kann das Jugendamt Leistungen bis zum 26. Lebensjahr weiter gewähren, wenn es für die Entwicklung der Person notwendig ist. 

Auch Erwachsene, die erst spät die Diagnose Autismus erhalten, kommen in die Beratung. Sie fragen sich, wie sie ihren Alltag besser gestalten können und welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt. „Es gibt keinen festen Hilfsmittelkatalog wie bei den Krankenkassen“, so Løwenzahn. „Man muss individuell schauen, was die Person braucht – sei es Assistenz im Haushalt, Begleitung zu Terminen oder tiergestützte Angebote wie Reittherapie.“

Herausforderungen

Veränderungen im Leben sind für viele Menschen mit Autismus belastend. „Der Wegfall bekannter Strukturen kann zu großer Unsicherheit führen“, berichtet die Beraterin. „Schulen und Arbeitgeber sind oft nicht flexibel genug, um individuelle Bedürfnisse zu berücksichtigen.“ Hinzu kommt, dass autistische Menschen häufig auf Unverständnis stoßen, vor allem, wenn sie nicht dem stereotypen Bild eines Autisten entsprechen. 

Hinzu kommen Probleme, die entstehen, wenn Betroffene die „falsche“ Hilfe erhalten. „Es gab zum Beispiel den Fall eines autistischen Mädchens, das in der Schule ein Referat halten sollte. Eigentlich gab es eine Vereinbarung mit der Schule, dass sie keine Präsentationen halten muss. Mit der Regelung ging es dem Kind in der Schule gut und sie hatte gute Noten. Ein Lehrer wollte sie daher mehr fördern und bat sie darum, ein Referat zu halten. Der Lehrer meinte es gut, aber das Gegenteil war der Fall: Das Mädchen hatte wochenlang Panikattacken und Durchfall. Für sie war es ein Weltuntergang“, erzählt Løwenzahn. 

Portrait Alise Løwenzahn - Blonde Frau am Lächeln mit einer Lederjacke vor Bäumen im Herbst.
Alise Løwenzahn arbeitet in der EUTB-Beratungsstelle des VdK. © privat

Dann gäbe es strukturelle oder bürokratische Probleme. Als Beispiel nennt die Beraterin den Fall eines Jungen, der als „unschulbar“ galt und durch eine bewilligte Einzelfallhilfe erstmals regelmäßig betreut werden konnte. Diese Hilfe übernahm zunächst eine enge Freundin der Familie, mit der sich der Junge sicher fühlte und gut zurechtkam – was sowohl seine Entwicklung förderte als auch den Eltern ermöglichte, arbeiten zu gehen“, berichtet Løwenzahn. „Als die Maßnahme verlängert wurde, durfte die vertraute Bezugsperson jedoch nicht weitermachen, da ihr eine formale Ausbildung fehlte. Obwohl Fachpersonal grundsätzlich wichtig ist, zeigt der Fall, dass es manchmal an Flexibilität fehlt, individuelle und wirksame Lösungen im Sinne des Kindes mit Autismus zu ermöglichen.“

Wandel im Bewusstsein

Trotz dieser Herausforderungen hat sich das Bewusstsein für Autismus in den letzten Jahren verändert. „Mädchen und Frauen werden häufiger erkannt, ebenso Erwachsene, die erst spät diagnostiziert werden“, sagt Løwenzahn. „Es wird zunehmend verstanden, dass Menschen mit Autismus sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben.“ Ein Beispiel ist die Reizüberflutung in Klassenzimmern oder Supermärkten – hier könnten Rückzugsräume oder reizärmere Umgebungen helfen. 

Unterstützungsangebote

Autistische Menschen haben Anspruch auf verschiedene Sozialleistungen, doch die Beantragung ist oft komplex. „Viele wissen nicht, dass sie keine Diagnose vorlegen müssen, um zur EUTB zu kommen“, erklärt Løwenzahn. „Wir helfen, den Bedarf zu klären und unterstützen bei der Antragstellung – auch wenn wir die Anträge nicht selbst ausfüllen.“

Der Schwerbehindertenausweis kann bestimmte Vorteile bringen, etwa zusätzliche Urlaubstage oder Steuererleichterungen. Der Antrag des Schwerbehindertenausweises ist nicht aufwendig, aber es kann sich für viele Menschen mit Behinderungen aufwendig anfühlen. Daher ist es ratsam, wenn man sich dafür Unterstützung sucht. „Für manche ist der Ausweis wichtig, um bestimmte Hilfen zu erhalten, für andere eher symbolisch“, so die Beraterin. 

Hilfen anpassen

Für Menschen mit Autismus gibt es noch viele Hürden – sei es in der Arbeitswelt, im Gesundheitswesen oder bei Behörden. „Arbeitsplätze sind oft nicht angepasst, zum Beispiel fehlt es an Rückzugsräumen oder es ist nicht erlaubt, Ohrstöpsel zu tragen oder mal an einer Besprechung nicht teilzunehmen“, kritisiert Løwenzahn. „Viele Autist*innen wissen genau, was sie brauchen, aber die bestehenden Hilfen passen nicht zu ihren individuellen Bedürfnissen.“

Auch in Schulen und Kitas fehlt es an angemessener Unterstützung. „Eltern müssen oft viel selbst organisieren und brauchen dringend Entlastung“, betont die Beraterin. „Es gibt zwar gute Beispiele, aber insgesamt ist das System nicht flexibel genug gestaltet.“

Teilhabe ermöglichen

Um autistischen Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen, braucht es vielfältige Maßnahmen. Dazu zählen reizarme Einkaufszeiten ohne Musik und mit gedämpftem Licht, Rückzugsorte im öffentlichen Raum und in Behandlungssituationen sowie individuell angepasste Assistenzleistungen. Auch flexiblere Arbeits- und Schulmodelle spielen eine wichtige Rolle, ebenso wie kompetente Anlaufstellen mit gut ausgebildetem Personal. „Vielleicht sogar Beratungen von Autist*innen für Autist*innen“, ergänzt Løwenzahn

Kontakt

Kontakt: Teilhabeberatung Berlin-Reinickendorf

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