Was ist die "Spoon-Theory"?
Die “Löffel-Theorie” ist ein Gedankenexperiment, um die Lebensrealität von vielen Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten zu veranschaulichen.
Manche Behinderungen und Krankheiten kann man sehen, andere nicht.
“Nicht sichtbare Behinderungen oder Krankheiten sind genauso einschränkend wie sichtbare. Der Unterschied ist: Andere nehmen sie nicht wahr und glauben Betroffenen daher häufig nicht. Das erschwert ihnen die Teilhabe zusätzlich”
, so Lars Hemme. Er ist Berater in der Externer Link:EUTB Teilhabeberatung und informiert Betroffene über Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe.
Alltag von Menschen mit chronischen Krankheiten
Ob mit sichtbaren Einschränkungen oder nicht, Menschen mit chronischen Krankheiten müssen an viele unterschiedliche Dinge denken. Sonst kann es passieren, dass nicht mehr genug Energie da ist, um den Rest des Tages zu bewältigen. Insbesondere Menschen mit nicht sichtbaren Einschränkungen treffen hier häufig auf Unverständnis, da ihre Krankheit oder Behinderung erst einmal nicht zu sehen ist.
Um diese Besonderheit unsichtbarer Erkrankungen oder Behinderungen zu veranschaulichen, wird gern die soganannte “Spoon-Theory” genutzt, die “Löffel-Theorie”. Aber was ist die “Spoon-Theory” genau und wie ist sie entstanden?
Woher kommt die "Spoon-Theory"?
Die “Spoon-Theory” stammt von der US-Amerikanischen Lupus-Expertin und Bloggerin Christine Miserandino, die sie im Jahr 2003 das erste Mal im Netz veröffentlichte. Bereits mit 15 Jahren wurden Christine unterschiedliche Krankheiten diagnostiziert. Viele Jahre später konnten die richtigen Diagnosen für sie gefunden werden: Lupus und Fibromyalgie. Ihren englischsprachigen Blog hat sie nach einem Satz benannt, den sie oft in ihrem Leben gehört hat: Externer Link:ButYouDontLookSick.com (="Aber du siehst gar nicht krank aus").
Entstehung der "Spoon-Theory"
Als Christine Miserandino mit ihrer besten Freundin in einem Café saß, stellte diese ihr eine sehr direkte Frage: “Wie ist es eigentlich, Lupus zu haben und krank zu sein?”
Um ihr die Frage besser beantworten zu können, nahm Christine einige Löffel zur Hand und überreichte sie ihrer Freundin. Sie begann zu erläutern: Krank zu sein bedeutet, Entscheidungen zu treffen oder bewusst über Dinge nachzudenken, die für andere Menschen selbstverständlich sind. Gesunde Menschen haben den Luxus, bestimmte Entscheidungen nicht treffen zu müssen.
Die Löffel sollten in diesem Gedankenexperiment für die Energie stehen, die ihr als chronisch kranker Person über den Tag hinweg zur Verfügung steht.
Unbegrenzte Energie, unbegrenzte Löffel
Christine bat ihre Freundin, die Löffel zu zählen. Insgesamt 12 Löffel hielt sie nun in der Hand. Sie erklärte ihr, warum die Anzahl begrenzt war: Wenn man gesund ist, geht man davon aus, unbegrenzt viele Löffel, also Energie, zur Verfügung zu haben. Als chronisch kranker Mensch startet man mit einer bestimmten Anzahl an Löffeln in den Tag – und muss damit rechnen, im Laufe des Tages einige zu verlieren.
Als nächstes sollte Christines Freundin ihre täglichen Aufgaben auflisten. Für fast jede Aufgabe nahm ihr Christine einen Löffel weg: Aufstehen war anstrengend und kostete einen Löffel. Auch für das Anziehen nahm Christine ihrer Freundin einen Löffel weg.
Wenig Energie für den Tag
In dem Gedankenspiel war Christines Freundin noch nicht einmal auf der Arbeit angekommen, und hatte bereits sechs Löffel verloren. Die übrigen Aufgaben für den Tag wollten also gut überdacht sein, um nicht plötzlich ohne Löffel dazustehen. Christine erklärte ihr weiter, dass man manchmal vom nächsten Tag Löffel leihen konnte, der nächste Tag dadurch aber noch schwieriger werden würde.
Als die Löffel in der Veranschaulichung immer weniger wurden, war Christines Freundin dazu gezwungen, Entscheidungen zu treffen: Besorgungen erledigen oder Abendessen zubereiten? Um beide Dinge zu tun, hatte sie nicht mehr genug Löffel in der Hand.
Zu wenig Löffel für den ganzen Tag
Am Ende des Tages hatte Christines Freundin genau einen Löffel übrig, um Abendessen zu sich zu nehmen. Wenn sie kochte, würde sie nicht genug Löffel haben um das Geschirr abzuwaschen. Wenn sie in ein Restaurant ging, würde sie nicht genug Energie für den Heimweg haben.
Christines Freundin wurde zunehmend bedrückter. Dabei hatte Christine sogar einige Situationen nicht mit in das Gedankenexperiment der Löffel-Theorie einbezogen, um ihre Freundin nicht zu überfordern. Zum Beispiel, dass bei ihr durch ein Schwindelgefühl manchmal die Zubereitung von Abendessen ohnehin außer Frage stand.
Bonus-Level: Gute Planung
Als alle Löffel "verbraucht" waren, war es in dem Gedankenexperiment gerade einmal 19 Uhr. Christines Freundin sah sie mit Tränen in den Augen an und fragte: “Wie machst du das nur? Machst du das wirklich jeden Tag?”
Christine erklärte ihr, dass manche Tage besser waren als andere, während andere schlechter waren. Und dass sie trotzdem nie vergessen durfte, wie viele Löffel sie noch zur Verfügung hatte.
Am Ende überreichte ihr Christine einen Löffel, den sie am Anfang des Gedankenspiels beiseite gelegt hatte: “Ich habe gelernt, mein Leben mit einem extra-Löffel als Reserve in der Tasche zu planen. Für den Fall, dass ich ihn brauche.”
Was ist ein "Spoonie"?
Seitdem Christine Miserandino die Löffel-Theorie im Jahr 2003 aufgeschrieben und ins Netz gestellt hat, hat sie sich weit verbreitet. Viele Menschen mit chronischen Krankheiten und Behinderungen weltweit finden ihren Alltag in der Metapher der Löffel-Theorie wieder und nennen sich selbst "Spoonies".
Das Gedankenexperiment ermöglicht es Menschen mit Einschränkungen, ihre Situation für andere anschaulich darzustellen. Denn nur wenn die Besonderheiten verstanden werden, können sie auch berücksichtigt werden, zum Beispiel bei der Planung von Veranstaltungen, Arztpraxen und Arbeitsplätzen.
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