Hohe Nachfrage, wenig Personal
Jahrzehntelang waren die Mobilitätshilfedienste in den zwölf Berliner Bezirken ein verlässliches Angebot für ältere Menschen, die Unterstützung und Begleitung auf Wegen außerhalb ihrer Wohnung benötigen. Doch nun geht den Mobilitätshilfediensten langsam die Luft aus. Seit Ende letzten Jahres ist die Personalsituation trägerübergreifend so angespannt, dass die hohe Nachfrage am Begleit- und Schiebedienst nicht vollumfänglich bedient werden kann.
Seit nunmehr 38 Jahren gibt es die Berliner Mobilitätshilfedienste. Ein Angebot, das von verschiedenen sozialen Verbänden und Diensten (VdK Berlin-Brandenburg, DRKkurz fürDeutsches Rotes Kreuz, Diakonie, Johanniter, Humanistischer Verband, Volkssolidarität, Unionhilfswerk, Förderverein Heerstraße Nord) in gemeinsamer Kooperation realisiert wird.
Berlin als Vorreiter
Um älteren Menschen in Berlin die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, schuf der Berliner Senat Mitte der 80er Jahre ein bislang bundesweit einmaliges Angebot, die Mobilitätshilfedienste. Menschen ab 60, die außerhalb der Wohnung Unterstützung benötigen – sei es zum Einkauf, Arzt, Friseur oder um einfach mal einen Spaziergang zu machen, werden einmal wöchentlich für ein bis zwei Stunden von geschulten Mobilitätshelfer*innen dorthin begleitet. Ziel war und ist es, für die Älteren der Gesellschaft den Umzug in eine Pflegeeinrichtung möglichst lange hinauszuzögern und ein Verbleib in der vertrauten Umgebung zu ermöglichen – und das mit einer kleinen finanziellen Eigenbeteiligung von maximal 80 Euro im Jahr.
In den Startlöchern
Als die Mobilitätshilfedienste 1986 an den Start gingen, bestand die Mitarbeitendenstruktur aus Teilnehmenden aus Arbeitsintegrationsprogrammen, Ehrenamtlichen, Praktikant*innen sowie Teilnehmenden aus Rehabilitationsprogrammen. Doch schnell wurde klar, dass für diese wichtige Aufgabe der Begleitung einer vulnerablen Zielgruppe stabilere Strukturen hermüssen.
Der Bedarf wächst
In den 2000er Jahren fiel daher die Entscheidung – mit dem Senat als Fördermittelgeber – in jedem Bezirk mindestens einen Mobilitätshilfedienst anzubieten, deren Belegschaft sich aus festangestellten Mitarbeitenden, Ehrenamtlichen und Arbeitskräften aus flankierenden Maßnahmen der Jobcenter zusammensetzte. Diese Konstruktion führte dazu, dass die Mobilitätshilfedienste in allen Bezirken zu einem festen Bestandteil in der Altersversorgung für ältere Menschen wurden und die Nachfrage immer größer wurde. „Mit den Jahren konnten wir einen zunehmenden Bedarf unserer Mobilitätshilfedienste registrieren, der jedoch inzwischen nur sehr begrenzt bedient werden kann“, stellt der Landesvorsitzende des VdK Berlin-Brandenburg, Ralf Bergmann, fest.
Großer Personalmangel
Aus dem letzten Halbjahresbericht der Berliner Mobilitätshilfedienste geht hervor, dass in der ersten Jahreshälfte 2023 knapp 4000 Klient*innen begleitet werden konnten. Dies ist ein Anstieg von fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Diese hohe Nachfrage kann jedoch mit dem aktuellen Personalschlüssel nur begrenzt bedient werden. „In fast allen zwölf Bezirken finden eingeschränkte Neuaufnahmen von Klient*innen statt, obwohl im Monat pro Einrichtung circa 20 bis 40 Anfragen eingehen“, bedauert Bergmann. Es bestehen in allen Bezirken Wartelisten für eine Begleitung durch die Mobilitätshilfedienste. „Dies spiegelt einmal mehr die Altersstruktur unserer Gesellschaft wider – wir werden älter und bedürftiger“, ergänzt der Landesvorsitzende.
Auslaufmodell
Da bereits seit Ende 2023 Arbeitsintegrationsprogramme sukzessive auslaufen und derzeit keine neuen Stellen vom Jobcenter besetzt werden, mussten die Angebote aller Berliner Mobilitätshilfedienste eingeschränkt werden. „Um die Situation zu verdeutlichen ein konkretes Beispiel aus unserem VdK-Mobilitätshilfedienst in Pankow. Seit Anfang des Jahres hat unsere Einrichtung dort bereits sieben Mitarbeitende aus Arbeitsintegrationsprogrammen verloren, die nicht nachbesetzt wurden. Da von einem Mobilitätshelfer täglich zwei bis drei Einsätze realisiert werden, sind das bei derzeit sieben nicht besetzten Stellen 21 Einsätze pro Tag. Das bedeutet 100 Einsätze pro Woche, 400 im Monat, in denen Klient*innen nicht begleitet werden können. An unserem Standort in Neukölln sieht es ähnlich aus. Trotz Intervention des Gesundheitsstadtrats dort, werden Stellen nicht nachbesetzt. Das Bedauern gegenüber den Anrufern ist groß, aber unsere Mobilitätshilfedienste können derzeit keine zuverlässige Aufnahme von Neuklient*innen zusichern“, berichtet Bergmann.
Konkrete Maßnahmen
Ideen, dem Personalmangel entgegenzuwirken, gibt es viele: Die angespannte Personalsituation der Mobilitätshilfedienste könnte durch eine bessere Zusammenarbeit mit den Jobcentern und daraus resultierend verlässlicheren Zuweisungen von Teilnehmer*innen der Arbeitsintegrationsprogramme harmonisiert werden. „Aber derzeit herrscht Funkstille seitens der Jobcenter“, beklagt der Landesvorsitzende. Auch neue Arbeitsintegrationsprogramme, bei denen sich Menschen im Sozialbereich erproben, könnten aufgelegt werden, da die Arbeitslosenquote immer noch nicht gegen null tendiert.
Die angespannte Personalsituation bei den Mobilitätshilfediensten sollte auch als Chance für Geflüchtete, speziell aus der Ukraine, gesehen werden. Durch flankierende Deutschkurse und die Übernahme der Kinderbetreuung erhalten Geflüchtete so einen Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt. Der Bedarf an außerhäuslicher Unterstützung ist in Berlin gewachsen. Daher sollte laut Bergmann auch eine Erhöhung der festangestellten Mitarbeitenden diskutiert werden. „In Anbetracht der Kostenexplosion in den Seniorenheimen ist es eine wesentlich kostengünstigere Variante, die Mobilitätshilfedienste weiter auszubauen. Gleichzeitig hat dies positive Auswirkungen auf die Lebensqualität der Berliner Seniorinnen und Senioren“, sagt Bergmann.
So könnten die Berliner Mobilitätshilfedienste als Blaupause für andere Bundesländer dienen. Hier wird sich der VdK Berlin-Brandenburg dafür einsetzen, dass der Mobilitätshilfedienst nach eigenem Vorbild zukünftig auch in Brandenburg angeboten wird. Die Lage der Berliner Mobilitätshilfedienste ist ernst, daher wird es am 12. November eine Tagung mit Vertretern der Senatsverwaltung und den Leitungen aller Berliner Mobilitätshilfedienste geben. Gemeinsam sollen Wege und Maßnahmen diskutiert werden, wie die dünne Personaldecke geschlossen werden kann und die Mobilitätshilfedienste somit weiterhin zu einem verlässlichen Angebot für ältere Menschen werden, die auf Unterstützung angewiesen sind.