11. Behindertenpolitische Konferenz des LBB – „Gewaltschutz inklusiv denken“

Gewalt an Menschen mit Behinderungen erkennen, sichtbar machen, verhindern
Am 25. September 2025 lud der Landesbehindertenbeirat (LBB) Brandenburg zur 11. Behindertenpolitischen Konferenz unter dem Motto „Gewaltschutz inklusiv denken“ ein. Die Veranstaltung setzte sich zum Ziel, das oft tabuisierte Thema Gewalt an Menschen mit Behinderungen in den Fokus von Politik, Verwaltung, Fachpraxis und Selbstvertretung zu rücken und gemeinsam Lösungsansätze für einen wirksamen, inklusiven Gewaltschutz zu erarbeiten.
Begrüßung und Einführung
Nach einem Begrüßungskaffee eröffnete Monika Paulat, Vorsitzende des LBB, die Konferenz. Sie betonte, dass Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen ein drängendes, aber noch immer zu wenig beachtetes Thema sei. „Über Gewalt gegen Behinderte weiß man nicht so viel. Das wollen wir mit dieser Veranstaltung ändern“, so Paulat. Sie dankte den zahlreichen Teilnehmenden für ihr großes Interesse und begrüßte die anwesenden Expertinnen und Experten.
Im anschließenden Grußwort von Rainer Liesegang (Abteilungsleiter II, Ministerium für Gesundheit und Soziales des Landes Brandenburg) wurde die Bedeutung des Landesbehindertenbeirates als zentraler Akteur hervorgehoben. Liesegang wies auf die zunehmende Verrohung im gesellschaftlichen Umgang hin und betonte: „Schutz vor Gewalt ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“ Er verwies auf Maßnahmen der Landesregierung, wie die Implementierung von Gewaltschutzkonzepten in speziellen Wohnformen, und mahnte: „Nur wer Anzeichen von Gewalt erkennt, kann rechtzeitig helfen.“ Vorbeugung und Qualifizierung seien entscheidend.
Einführungsreferate: Dimensionen und Ausmaß von Gewalt
In den Einführungsreferaten wurde das Thema aus soziologischer und juristischer Perspektive beleuchtet. Sabrina Prem (Deutsches Institut für Menschenrechte) unterstrich, dass Schutz vor Gewalt ein Menschenrecht sei. Sie präsentierte alarmierende Zahlen aus einer Studie von 2024: 68–90 % der befragten Menschen mit Behinderungen berichteten von psychischer, 58–75 % von körperlicher und ein signifikanter Anteil von sexualisierter Gewalt. Trotz rechtlicher Grundlagen wie der UN-Behindertenrechtskonvention, der Istanbul-Konvention, dem Gewaltschutzgesetz und § 37a SGBkurz fürSozialgesetzbuch IX bleibe die Umsetzung eine Herausforderung. „Es gibt keinen einheitlichen Qualitätsstandard. Jeder Dienstleister muss seinen eigenen Prozess zur Entwicklung von Schutzkonzepten starten“, so Prem.
Christian Pejunk, Sachgebietsleiter PKS gab Einblicke in die Kriminalstatistik. Seit 2015 seien die Opferzahlen von etwa 125 auf 145 pro Jahr gestiegen. Auffällig sei, dass mehr männliche als weibliche Opfer registriert werden, der Altersdurchschnitt bei 34 Jahren liege und die Aufklärungsquote bei über 80 % liege. Der Täter sei oft bekannt, häufig handele es sich um Personen aus dem Betreuungsumfeld.
Roland Weber, Opferbeauftragter des Landes Berlin, beleuchtete die individuellen Folgen von Gewalt. Anhand von Fallbeispielen zeigte er auf, wie unterschiedlich die Auswirkungen sein können und wie gering die Anzeigebereitschaft im häuslichen Umfeld im Vergleich zu Einrichtungen ist.
In der anschließenden Podiumsdiskussion wurden die vorgestellten Perspektiven vertieft und diskutiert.
Workshops: Konkrete Handlungsfelder und Lösungsansätze
Am Nachmittag vertieften die Teilnehmenden das Thema in drei parallel stattfindenden Workshops:
· Workshop 1: Gewalt in Einrichtungen (Leitung: Herr Gomili)
Hier wurden Grenzverletzungen, Übergriffe, Präventionsmaßnahmen, Intervention und Nachsorge besprochen. Als zentrale Forderungen wurden die Etablierung von Ombudsstellen, mehr Transparenz und der Einsatz technischer Hilfsmittel identifiziert.
· Workshop 2: Gewalt in der eigenen Häuslichkeit (Leitung: zwei Damen, Name nicht notiert)
Im Fokus stand die Überforderung von Angehörigen oder Betreuungspersonen als Ursache für Gewalt. Ein konkreter Wunsch war die Einrichtung einer zentralen, niedrigschwelligen Telefonnummer für Hilfe und Beratung.
· Workshop 3: Gewalt im öffentlichen Raum (Leitung: Herr Hannes Püschel, Jurist und Kriminologe von der Opferperspektive Brandenburg)
Dieser Workshop behandelte speziell sozialdarwinistische und rechte Gewalt. Püschel erläuterte, dass Täter Menschen mit Behinderungen als „minderwertig“ betrachten und sich damit zu Gewalt berechtigt fühlen. Er forderte eine Stärkung der Partizipation, eine zentrale Beschwerdestelle und politischen Druck, um strukturelle Probleme (z. B. wochenlang defekte Aufzüge in Wohnungen von Rollstuhlfahrern) zu lösen. „Wir beraten zu Gewalt als gesellschaftlichem Problem“, so Püschel.
Abschluss und Ausblick
Um 15:00 Uhr wurden die Ergebnisse der Workshops im Plenum präsentiert. Sie mündeten in konkrete Forderungen nach verbindlichen Standards, mehr Transparenz, niedrigschwelligen Beratungsangeboten und einer stärkeren politischen Priorisierung des Themas.
In ihrem Schlusswort fasste Monika Paulat die Dringlichkeit zusammen, den Gewaltschutz für Menschen mit Behinderungen konsequent und inklusiv zu gestalten. Sie dankte allen Beteiligten für den intensiven Austausch und appellierte an die Verantwortlichen in Politik und Praxis, die erarbeiteten Impulse aufzugreifen und in konkrete Maßnahmen umzusetzen.
Die Konferenz endete um 16:00 Uhr mit dem gemeinsamen Fazit, dass Gewaltschutz keine Lückenbüßerei, sondern eine dauerhafte, gesamtgesellschaftliche Verpflichtung sein muss.
Bernd Trete